Drei Schach-Festtage in Schloss Schwetzingen

Baden-Baden (Mannschaftsfoto) fehlen nach der achten Deutschen Meisterschaft noch zwei Titel zum Bundesliga-Rekord

 

Es sei natürlich eingangs die provozierende Frage gestattet: Was ist die Neuerung einer Zentralen Endrunde wirklich wert? Zumal im konkreten Fall der Meister OSG Baden-Baden längst feststand und ebenso die vier Absteiger SV Griesheim, SK Norderstedt, SC Forchheim und den Schachfreunden Berlin nur noch ihre Abschiedsvorstellungen zu geben hatten?

 

Was die 16 Bundesliga-Vereine davon gehalten haben, zeigt jedenfalls ein Blick auf den gemeldeten Stammaufstellungen, denn genau die Hälfte dieses hochkarätigen Personals wurde nicht eingesetzt. Ich empfinde das vor allem den rührigen Ausrichtern und Gastgebern vom SV Hockenheim gegenüber doch als einen gewissen Affront. Und natürlich wird sich die Besetzung des dreitägigen Finales durch die sportlich gesehen zweite Garde öffentlichkeitswirksam ausgewirkt haben. Sei es drum, in jedem Fall gilt den Baden-Württembergern ein großes Dankeschön, sich auf ein solches Wagnis eingelassen zu haben!

 

Doch nun zum sportlichen Teil der Schach-Festtage in Schloss Schwetzingen.

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Natürlich war die Spannung groß, wer von den Londoner Hauptdarstellern zu einem Auftritt bereit war. Immerhin wurden dann in den Reihen des alten und neuen Deutschen Meisters der Russe Peter Swidler und Carlsen-Sekundant Peter Heine gesichtet. Und der dänische Großmeister, der bei dem anstehenden WM-Match weder seinem alten Team von Titelverteidiger Anand noch dem norwegischen Herausforderer zu Verfügung stehen wird – dass war ganz sicherlich die Meldung am Freitag – spielte gegen den in Trierer Diensten stehenden Ungarn Miklos Galyas nicht nur nach Meinung des Bundesliga-Berichterstatters Georgios Souleidis vielleicht die schönste Partie der gesamten Saison. Da stimmte einfach alles – Angriff und Verteidigung, und das Galyas (Elo 2423) mit Schwarz den Sieg gegen Nielsen (Elo 2662) verpasste, ist eher dann doch ein Schönheitsfehler. Doch sehen Sie selbst:

 

Nielsen, P. H. – Galyas, M.

Bundesliga Saison 2012/13, Runde 13, 5. April 2013

OSG Baden Baden–SG Turm Trier

Holländische Verteidigung [A88]

[Kommentare: Georgios Souleidis]

 

1.d4 f5 2.g3 Sf6 3.Lg2 g6 4.Sf3 Lg7 5.0–0 0–0 6.c4 d6 7.Sc3 c6 8.Tb1 Kh8 9.b4 Sbd7 10.b5 Sb6 11.bxc6 bxc6 12.Sd2 De8 13.La3 Le6 14.c5 Sbd5 15.Sxd5 Sxd5 16.Dc2 dxc5 17.Lxc5 f4 18.Tb7 g5 19.Sf3 g4 20.Sh4 Lf6 21.Sf5

 

 

21…Dh5!? (Schwarz setzt voll auf Angriff!) 22.Sxe7! f3 23.exf3 gxf3 24.Te1 (der einzige Zug. Objektiv steht Weiß wohl auf Gewinn, aber das muss man am Brett erst einmal korrekt verteidigen. 24.Lh1? Sf4 24.Te1 Se2+ -+) 24…Sf4 25.Lf1 Lh3 (Schwarz lässt nicht locker) 26.Dc4? (und wird beinahe belohnt. 26.Ld3!! hält den Vorteil fest. Nach der schwarzen Hauptidee 26…Kg2 27.gxf4 Lh3 folgt 28.Sf5, und Weiß blockiert die g-Linie mit Sg3. Deswegen musste der Läufer nach d3 und nicht z.B. nach c4) 26…Lxf1 27.Dxf1 Se2+ 28.Kh1

 

 

28…Tf7 (hier verpasste Schwarz seine große Chance. 28…Lxe7“ 29.Txe7 Sxg3+! 30.fxg3 f2 31.Tfe3 Dd5+ 32.T3e4 Tfe8 33.Dxf2 Txe7 34.Df6+ Tg7, und hier kämpft Weiß mit 35.De5 ums Remis) 29.Teb1 Te8 30.Tb8 Tfxe7 31.Lxe7 Lxe7 32.Txe8+ Dxe8 33.Dh3 (die Spieler befanden sich in Zeitnot, so dass es ungenau wird. 33.Tb7!) 33…Sxd4 34.Dh6 c5 35.De3

 

 

36..Kg7 (mit 35…Dd7 hätte Schwarz aus der Fesselung gehen sollen oder besser müssen. Materiell ist seine Stellung vorzuziehen, und dem König sollte nicht allzu viel drohen, auch wenn er entblößt ist) 36.De5+ Kf7 37.Dh5+ Kf8 38.Dxh7 Dd8?? (ein Aussetzer) 39.Tb8! Da Weiß nach 39…Dh8+ die Dame gewinnt, gab Schwarz auf. Eine spannender und sehr unterhaltsame Partie.

 

 

Von der Ansetzung her war aber zweifellos die Paarung Karpow–Swidler am Sonntag einer der Höhepunkte. Exweltmeister gegen den sechsfachen Russischen Landesmeister „Peter I.“ Der bald 62-Jährige Anatoli [21.5.1951] gegen seinen ein halbes Jahrhundert jüngeren Landsmann [17.6.1976] – was für ein Duell der Generationen! Nun, es endete remis…

 

 

Dass das Grenke-Team einen Alleingang zum achten Meistertitel in Folge (!) hinlegen würde, war eigentlich zu befürchten, zumal man sich die Startruppe vor Beginn der 33. Saison noch mit Levon Aronjan verstärkt hatte. selbstverständlich ist das Rekord für die eingleisige Bundesliga, und die 30:0 Mannschaftspunkte, also 15 Siege bei 89,0 Brettzählern, mehr als imponierend! Nun fehlt nur noch eine Meisterschaft, um mit dem FC Bayern München gleichzuziehen, der in den 1980er-Jahren die höchste deutschen Spielklasse nach dominierte.

 

Auf acht Titel hat es übrigens auch die SG Porz gebracht. Aber die Westdeutschen verweigern sich leider seit Jahren dem Spielbetrieb im Oberhaus in dieser Form und haben sich deshalb freiwillig in Liga 2 „abgesetzt“, wo sie nach Belieben schalten und walten und es dafür im Pokal den Bundesliga-Vereinen zeigen – wenn auch da nur Vierer-Mannschaften aufeinander treffen. Keine Frage, dass man auch in diesem Jahr das Final Four [8./9. Juni] erreicht hat, wo neben Meister Baden-Baden die beiden Außenseiter SC Kreuzberg Berlin und die SG Leipzig in der „Verlosung“ für das Halbfinale warten.

 

Wie schwer es ist, sich in der Beletage des deutschen Schachs zu behaupten, haben die drei Neulinge Griesheim, Norderstedt und Forchheim erfahren müssen, die alle für zu leicht befunden wurden. Eine Bereicherung war dagegen der vierte Aufsteiger SV Wiesbaden, der auch durch die punktuelle Verstärkung mit der starken polnischen Mittelfeldachse Mista/Tazbir/Bulski – dieses Trio hatte im Jahr zuvor am Aufstieg von Griesheim entscheidenden Anteil – in keiner Phase gefährdet waren. Dass die SF Berlin hingegen den bitteren Gang in Liga 2 antreten müssen, kommt so überraschend nun auch nicht. Nach dem Elodurchschnitt an acht Brettern bei optimaler Aufstellung waren sie an Platz 13 gesetzt – und dort sind sie nun gelandet. Vielleicht war Kapitän Rainer Polzin da in seiner Ansage doch zu optimistisch: „Wir werden schon noch einen vierten Absteiger finden!“

 

Auffällig war, dass nicht nur die Spitzenvereine zahlreiche „Kaderleichen“ im Stammachter gemeldet hatten. So wurden beispielsweise Weltmeister Viswanathan Anand und sein Herausforderer Magnus Carlsen bei Baden-Baden nicht ein einziges Mal gesichtet. Positiv zu hervorzuheben sind dagegen der SK Turm Emsdetten, die SV Hockenheim und der SK Norderstedt, bei denen alle gemeldeten Aktiven mindestens einmal eingesetzt wurden.

 

Was der Mut zur Jugend angeht, so hat sich dazu schon Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler in seinem Beitrag „Vier gegen Anatoli Karpow – und Kevin spielt Remis“ lobend darüber geäußert, dass seine Schachprinzen Rasmus Svane (Hamburger SK), Dennis Wagner (SK Hockenheim) und Matthias Blübaum (Werder Bremen) in der Bundesliga angekommen sind. Was die Weserstädter angeht, die in der Vergangenheit die ersten 16 Brettern fast immer mit Ausländern besetzt hatten, so haben sie sich an ihr neues Konzept gehalten, nur noch maximal fünf Ausländer aufzubieten, um die regionale Bindung und Nachwuchsförderung langfristig als strategische Ziele durchzusetzen.

Ich würde im Übrigen noch einen Schritt weiter gehen und für die 1. Bundesliga festschreiben, dass mindestens ein deutscher Nachwuchsspieler – egal ob männlich oder weiblich – bis zum Alter von 21 Jahren an jedem Spieltag zum Einsatz kommen muss oder zumindest zehn Partien im Oberhaus absolviert.

 

Bleibt noch eine Anmerkung zu den erfolgreichsten Punktejäger, die noch dazu bei mindestens zehn Einsätzen ohne Niederlage geblieben sind. In diese Chronik werden Daniel Fridman 9/15, Konstantin Landa 10,5/15 (beide SV Mülheim Nord), Jewgeni Postny 7/10 (SC Eppingen), Sipke Ernst 9,5/13 (Hamburger SK) und Erwin L’Ami 7/11 (SG Solingen) aufgenommen. Eigentlich war Philipp Schlosser von der OSG Baden-Baden auch in sicherer Kandidat. Doch ausgerechnet in der letzten Runde In der letzten Runde – der Münchener Großmeister wurde bis dahin bei 10/11 notiert – scheiterte er an Schachprinz Dennis Wagner, der bei der SV Hockenheim an Brett 8 mit 7,5/11 (+6 =3 –3) einen prima Bundesliga- Einstand feierte. Der 45-Jährige „Meister“-Spieler wird es verschmerzen können, denn mit 17 Mannschaftsmeistertiteln (6 mit Bayern München und nun alle acht mit der OSG Baden-Baden – hinzu kommen noch drei in Österreich für den SK Sparkasse Jenbach!) hat er einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt.

 

Nach der Saison ist bekanntlich vor der Saison. Noch wissen wir nicht, ob die zwölf in Liga 1 verbliebenen Vereine in 2013/14 ihr Startrecht tatsächlich wahrnehmen werden. So gesehen könnten die SF Berlin doch noch hoffen – und wenn nicht: Zumindest in Österreich hat man unter der Fahne des ASVÖ Wulkaprodersdorf die Klasse gehalten. Es ist eben immer gut, wenn man zwei Eisen im Feuer hat…

 

Die vier Aufsteiger werden übrigens am kommenden Sonntag (14. April) ermittelt, wobei der SK König Tegel Berlin (Nord), die SG Bochum 31 oder DJK Aachen (West), der USV TU Dresden (Ost) und der SC Viernheim (Süd) die besten Chancen haben, in der 34. Bundesliga-Saison dabei zu sein, die laut DSB-Terminkalender am 12. Oktober „angepfiffen“ wird.

 

Raymund Stolze

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