Unser Vereinsmitglied Franz Jittenmeier schrieb im Schach-Ticker nachstehenden Bericht. Die Materie ist ihm als ehemaligem Stadtmeister im Schach, sowie ehemaligem Marketing-Direktor aus der Konsumgüterbranche, sicherlich nicht nicht ganz fremd:
Wie geht Schachverein heute – ein Erfahrungsbericht
Das ist eine Frage, die sich immer wieder die Verantwortlichen in den Schachvereinen heutzutage stellen, denn offensichtlich ist es ja so, dass die Zahl der Schachspieler, die im Deutschen Schachbund (DSB) zusammengefasst sind, seit Jahren rückläufig ist. Das hat natürlich auch Konsequenzen für die am Spielbetrieb teilnehmenden Vereine. Auch ihre Zahl geht chronisch abwärts. Ist das nun ein Abbild des Zeitgeistes, wie von vielen Funktionären unterstellt, oder müssen sich gerade diese den Vorwurf gefallen lassen, dass es nur eine Rechtfertigung für eigenes Unvermögen bzw. Scheitern ist. Natürlich sind die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung heutzutage vielfältiger als zu Zeiten unserer Eltern (Freizeitparks und Straßenfeste seien hier nur einige Stichworte). Auch muss ich nicht unbedingt einem Verein beitreten, um meinem Hobby nachgehen zu können- man denke nur an öffentliche Tennis- und Golfplätze, Muckibuden, sowie das breite Spektrum privater Anbieter von Aktivitäten, vom Trödel bis zum Tango. Schließlich hat aber auch das Internet unser Freizeitverhalten maßgeblich beeinflusst – und das trifft insbesondere auf das Schachspiel zu (warum soll ich in einen Verein gehen, wenn es vom heimischen Computer aus bequemer ist).
Wenn wir all diese Fakten berücksichtigen, so bleibt aber doch festzuhalten, dass es auch Schachvereine gibt, welche sich positiv entwickeln. Ein Beispiel dafür ist der Verein in dem ich selbst seit über 5 Jahren Mitglied bin. Es ist noch nicht sehr lange her, vielleicht so um die 15 Jahre, da gehörte dieser Verein zu den Krematoriumskandidaten und es wurden schon Wetten darauf abgeschlossen, wann er das Zeitliche segnet. Die Mitgliederzahl erlaubte es gerade noch, eine Mannschaft zu stellen – mit etwas Glück sogar zwei. Das Vereinsleben tendierte gegen Null – sozusagen ein hoffnungsloser Fall. Dann, um die Jahrtausendwende, kam das eine oder andere Mitglied eher zufällig hinzu. Schachlaien, welche die Szene nicht kannten, aber von ihrer Art her zu dem Verein passten. Empathisch, sozialkompetent und quer denkend. „Das war schon immer so“ zählte nicht und selbst die Altvorderen im Verein waren zum größten Teil sehr schnell bereit, den frischen Wind zu nutzen. Eigentlich änderte sich anfangs nicht sehr viel, sondern man hatte einfach nur ein gutes Gefühl. Bei der ersten Mitgliederversammlung wurde dann der Vorstand umstrukturiert, weil dieses aus beruflichen Gründen notwendig war. Mit Unterstützung der ausscheidenden Vorstandsmitglieder wurden die Karten neu gemischt und viele Funktionsträger machten engagiert weiter.
Punkt 1: Nicht Revolution, sondern Motivation heißt das Zauberwort, mit dem neue Wege beschritten werden müssen. Niemand verliert sein Gesicht. Es gibt weder Tote, noch Gefangene und insbesondere keine Narben, die nicht verheilen wollen. Der Strukturwandel wird von allen Beteiligten mitgetragen.
Nachdem dieser erste Schritt getan war, konnte die konzeptionelle Arbeit beginnen. Dazu musste der Verein erst mal ein formal korrektes Fundament erhalten. Er wurde als eingetragener Verein registriert, erhielt eine anständige Satzung, die notwendigen Ordnungen (wie Beitrags- und Spielordnung) und eine vernünftige Mitgliederverwaltung. Der interne Spielbetrieb wurde optimiert – übrigens eine „Never Ending Story“, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist (wie den auch – ist ja Never Ending).
Punkt 2: Die formellen Rahmenbedingungen müssen stimmen. Das ist nicht nur de jure unabdingbar, sondern gibt einem auch einen vorteilhaften Hauch von Seriosität.
Das bisher Geschehene machte im Mikrokosmos Schachbezirk natürlich die Runde – selbstverständlich nicht ohne unser Zutun. Denn merke „tue Gutes und rede“ darüber – und das war noch nie so einfach wie heute. Schon damals hatten wir den Nutzen des Internets erkannt und uns eine Vereinshomepage zugelegt. Über die Bedeutung dieses Themas könnte man ein ganzes Buch schreiben und würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen. So blieb es schließlich nicht aus, dass nach und nach der eine oder andere Schachfreund hereinschaute und hängen blieb. Bei der damaligen Größe des Vereins war jeder Neuzugang schon ein mittleres Erdbeben. Das Image des Vereins war ebenfalls nicht das schlechteste und wir schwebten auf einer Euphoriewelle. Und da nicht nur die formellen und organisatorischen Rahmenbedingungen stimmten, sondern auch das Wichtigste, nämlich das schwer zu definierende Vereinsklima, waren wir mit uns und der Welt zufrieden.
Punkt 3: Tue Gutes und rede darüber. Sorge zudem für ein positives Grundrauschen im Verein. Die Bedeutung der Stimmungslage wird oft unterschätzt – sie strahlt nämlich auch nach außen ab und ist daher imagebildend.
Nach Abschluss der oben beschriebenen ersten Entwicklungsphase, die rasant ablief, musste dafür gesorgt werden, dass nicht der Verein die Funktionsträger beherrscht, sondern nur der umgekehrte Fall Sinn macht. Der Verein konnte jetzt stabil auf drei Mannschaften blicken und das 50-jährige Vereinsjubiläum stand bevor. Die Zahl der Mitglieder lag irgendwo zwischen 30 und 40. Man hätte sich selbstzufrieden auf die Schultern klopfen und einen Gang zurückschalten können. Das anstehende Jubiläum war jedoch Anlass dafür, sich Gedanken über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu machen. Bei solchen Gelegenheiten kommt natürlich immer das Thema Jugendarbeit auf den Tisch. Bekanntlich gibt es immer zwei Möglichkeiten die Zukunft zu gestalten. Der einfachste und kurzfristig realisierbare ist Geld. Man kauft Engagement (z.B. Trainer und Spieler), sowie Hardware (Material, Räume) und spendiert Entertainment (Turnierteilnahmen, Wochenendtrips). Aber wir hatten kein Geld und wenn wir jemand hätten der Geld hat (und der auch bereit ist, es in den Verein zu investieren) – was passiert wenn er keines mehr hat (oder nicht mehr bereit ist, es zu investieren)? Wie man sieht, gibt es zu viele „hätte“, „wäre“, „wenn“ und „aber“. Also entschieden wir uns für die zweite Alternative, nämlich die Gestaltung der Zukunft aus eigener Kraft – besser gesagt durch Angebote die für Außenstehende und den eigenen Beritt interessant sind. Hier steht fast immer die Jugendarbeit ganz oben auf der Agenda. Ein Thema, das sich allerdings nicht von heute auf morgen realisieren lässt.
Punkt 4: Träume nicht, sondern tue was sinnvoll und machbar ist.
Gesagt, getan. Die Jugendarbeit sollte ein Schwerpunkt der Vereinsarbeit werden – und damit hatten wir uns (ziemlich blauäugig) einer Thematik angenommen, die wir noch gar nicht angemessen beurteilen konnten. OK, wir hatten immer mal wieder zwei oder drei Jugendliche im Verein, die so mitliefen, aber da kann man ja nicht von Jugendarbeit sprechen. Folglich begannen wir junge Vereinsmitglieder zu werben. Das ging beispielsweise über VHS-Kurse, Schulschach-AGs, Teilnahme an zielgruppenorientierten Veranstaltungen wie dem Spielewahnsinn – und die Reklametrommel wurde im eigenen privaten Umfeld auch kräftig gerührt. Wir begannen Räumlichkeiten zu suchen für ein angemessenes Jugendtraining und kooperierten mit dem örtlichen Jugendamt. Das hört sich alles ziemlich prima an, aber der Erfolg war am Anfang äußerst spärlich. Eine Handvoll junger Vereinsmitglieder war über Jahre hinweg das Ergebnis dieser Bemühungen und man hätte es verstanden, wenn dieses Projekt zum Erliegen gekommen wäre. Der Dank an die Vereinsmitglieder, welche durchgehalten haben, kann nicht groß genug sein.
Punkt 5: Nicht nur in der Jugendarbeit ist ein langer Atem oft unumgänglich.
Nach mehreren Jahren nicht nachlassender Handlungsintensität, konnte man zum Ende der 1. Dekade im laufenden Jahrtausend, mit Fug und Recht von einer vernünftigen Jugendabteilung in diesem Verein sprechen – und es kam ein glücklicher Umstand hinzu. Ein befreundeter Nachbarverein musste sich leider auflösen und zwei etwa gleich große Jugendgruppen wurden verschmolzen – Dussel muss man haben (aber darauf hat man ja keinen Einfluss). Die Jugend des Vereins hatte jetzt auch ein entsprechendes Gewicht und Einfluss. Mehr als ein Drittel der fast 80 Vereinsmitglieder sind inzwischen Jugendliche und einige der Ehemaligen sind inzwischen Funktionsträger. Sie haben Vorstandsaufgaben übernommen und engagieren sich heute selbst für den Nachwuchs – trainieren ihn, betreuen ihn auf Veranstaltungen (z.B. Turnieren), unternehmen mit ihnen außerschachliche Aktivitäten, fahren gemeinsam in Urlaub und Wochenendfreizeiten und und und. Nicht vergessen werden darf dabei aber auch der sportliche Mehrwert, der den verschiedenen Mannschaften (in der Spitze bisher acht) zugutekommt. Auch die Jugendmannschaft, welche jetzt seit mehreren Jahren in der Jugend-Verbandsliga antritt, ist aus dem Vereinsgefüge nicht mehr wegzudenken.
Punkt 6: Jugendarbeit lohnt sich auf jeden Fall, auch wenn man die Früchte nicht so schnell ernten kann.
Last but not least ist festzuhalten, dass der Verein sich nicht nur – wie über Jahre hinweg geschehen – im eigenen Biotop bewegen sollte, sondern die Schachszene insgesamt nutzen. So ging man daran, an Veranstaltungen auf Bezirks und Verbandsebene mitzuwirken (z.B. Meisterschaften), sowie Aufgaben als Funktionsträger zu übernehmen. Auch die Belebung des Schachsports durch eigene Events ist nicht zu unterschätzen. Das Highlight ist ein eigenes Open, welches inzwischen nicht nur regional einen ausgezeichneten Ruf genießt und seit einigen Jahren Teilnehmerzahlen jenseits der 100 ausweist, sowie ausschließlich Titelträger auf dem Podium standen. Nicht zu vergessen sind zum Abschluss die Aktivitäten außerhalb des Schachsports, wie z.B. Jugendfreizeiten, Herbst- und Kanalfest, Urlaubsunternehmungen, Besuche von Veranstaltungen (z.B. Kirmes) usw.
Punkt 7: Sitzt nicht nur schweigend beim Schachspiel, sondern geht auch raus und handelt nach der Maxime Einheit durch Vielfalt.
Selbstverständlich kann dieser Bericht nur ein grober Abriss des gesamten Aktivitätsspektrums sein, denn es würde ein Buch füllen ins Detail zu gehen. Allerdings glaube ich, die wesentlichen Eckpfeiler beschrieben zu haben, was eventuell in dem einen oder anderen Denkanstoß mündet.
Dem Marketing-Direktor im Ruhestand sei Dank. Dank für Denkanstöße, für grundlegende Einblicke ins Vereinsleben, für vertrauensbildende Maßnahmen.
Seine Sprache ähnelt der eines Geistlichen, der Abtrünnige bzw. Ertrinkende ans rettende Ufer bringen möchte.
Seinem zugehörigen Verein kann man nur aus vollem Herzen gratulieren zu einem gelungenen und zukunftsweisenden Modell.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es dem beschriebenen Verein nicht gelingt, Spitzenspieler langfristig zu binden. Der Punkt 8 müsste ergo hinzugefügt werden mit der Frage: „Wie halte ich meine besten Spieler?“