Paris, danach Leuven in Belgien
Nachdem Norway Chess sich nach einem Jahr schon wieder verabschiedete, hatte die Chess Tour bekanntlich ein Problem – nur noch Sinquefield Cup und London Classic wäre etwas wenig für eine „Tour“. Aber sie fanden neue Austragungsorte und neue Sponsoren, die allerdings Schnell- und Blitzschach bevorzugten und/oder nur ein „halbes“ Turnier finanzieren wollten. Da Frankreich und Belgien Nachbarländer sind und da im Juni noch Termine frei waren im Kalender, bot es sich an, die Turniere direkt nacheinander durchzuziehen – mit nahezu identischem Teilnehmerfeld. In Paris spielen vom 9.-12.6. Carlsen, Kramnik, Caruana, Aronian, Vachier-Lagrave, Nakamura, Giri, So, Topalov und Fressinet. In Leuven (17.-20.6.) macht dann Fressinet Platz für Anand. Wie das Teilnehmerfeld genau zustande kam und warum Anand in Paris fehlt, dazu später mehr. Damit die Spieler sich zwischendurch nicht langweilen bzw. jedenfalls beschäftigt sind, gibt es auch noch ein Rahmenprogramm.
Beim Titelfoto hebe ich generell fast nie einen Spieler besonders hervor, es gibt auch keine Ausnahmen für Norweger die – im Rahmen der Chess Tour – dieses Jahr nur Schnell- und Blitzschach spielen. Stattdessen der Austragungsort: das Maison de la Chimie ist durchaus repräsentativ, ausserdem mitten in Paris – ca. 300m Luftlinie zum Eiffelturm.
Wie wurden die Teilnehmer der Chess Tour 2016 ausgewählt? Die erste Version – im Internet noch erreichbar über die London-Webseite – lautete: die ersten drei der Chess Tour 2015 sowie die sechs Elobesten auf Basis von „Durchschnitt aller Elolisten Februar bis Dezember 2015 sowie die Live-Ratingliste nach London 2015“. Warum diese Liveliste und nicht die FIDE-Liste Januar 2016? Sie gingen auf Nummer sicher: mit einem guten Resultat beim Katar Open konnte Karjakin sich sonst eventuell für die Chess Tour 2016 qualifizieren, und das war wohl unerwünscht. Vachier-Lagrave war damit auch draussen, da er 2015 zwischendurch ein Elo-Tief hatte. Die aktuelle Version lautet (FAQs auf grandchesstour.org) „die drei Besten der Chess Tour 2015 sowie die fünf nächstbesten nach Elo Januar 2016. Ausserdem bekommt Vachier-Lagrave eine Wildcard für alle vier Turniere.“ Dabei bräuchte MVL, sicher nachdem Carlsen nicht die gesamte Tour spielen wollte, keine Wildcard sondern wäre qualifiziert – als Vierter der Chess Tour 2015 und/oder als Weltranglistensiebter im Januar 2016. Als erster nicht dabei wäre dann Wesley So (Zehnter im Januar 2016 mit Elo 2773, knapp vor dem Elften Karjakin mit 2769). Aber Amerikaner wollen sie, Karjakin wollen sie nicht, passt schon.
MVL gehört natürlich ins Teilnehmerfeld, dabei ist er aber wohl da sein Privatsponsor Colliers International das Turnier in Paris ermöglicht und damit der Chess Tour aus der Klemme half. Wie es der Zufall wollte (das war sicher ein Zufall), spielt Anand parallel im spanischen Leon (mit Wei Yi, David Anton und dem recht unbekannten Spanier Jaime Santos Latasa), damit kann in Paris Fressinet als zweiter Franzose mitspielen.
Noch mehr „Chess Tour allgemein oder insgesamt“: Die im Vorjahr zumindest umstrittenen Tiebreak-Regeln wurden geändert, sowohl für den Turniersieg als auch für die Plätze dahinter. Wenn – wie 2015 in London – nach dem Turnier drei Spieler punktgleich vorne liegen, wird nicht mehr einer direkt ins Finale gesetzt, sondern sie spielen zunächst ein einrundiges Schnellschachturnier. Für die Plätze dahinter, d.h. ab dem zweiten Platz, sind Tiebreaks nun irrelevant (ausser vielleicht für Statistik und ‚bragging rights‘): Tourpunkte und Preisgeld werden gleichmässig geteilt. Für die Gesamtwertung zählen am Ende die drei besten von vier Turnieren. Damit hat Anand, der auf Paris verzichten muss, fast dieselben Chancen wie alle anderen. Nur die zwei besten Turniere, damit auch Carlsen eine Chance hat, wäre wohl übertrieben und absurd.
Die Schnell- und Blitzschachturniere in Paris und Leuven sind einerseits „halbe“ Turniere, da es nur 150.000$ Preisgeld gibt (in St. Louis und London dann das Doppelte), andererseits kann man da an vier Tagen genauso viele Tourpunkte gewinnen wie später an neun Tagen (plus Ruhetag). Im Schnellschach wird einrundig gespielt (Bedenkzeit 25 Minuten plus 10 Sekunden Inkrement), im Blitzschach (5+2′) dann doppelrundig. Schnellpartien zählen für die Gesamtwertung doppelt, damit beeinflussen beide Zeitkontrollen das Endergebnis gleichermassen. Die Turniertage beginnen jeweils um 14:00 Ortszeit – in Leuven am letzten Tag bereits um 12:00, aber das bekommt vielleicht noch einen eigenen noch kürzeren Vorbericht. Beim Preisgeld ist es übrigens recht egal, wie mittelmässig oder schlecht man spielt: 37.500$ für den Sieger, 30.000 für den Zweiten, je 15.000 für Platz drei bis fünf und je 7.500 für die untere Tabellenhälfte. Ein halber Punkt mehr oder weniger kann also finanziell relevant sein, andererseits können Unterschiede von zwei, drei oder mehr Punkten auch gar keine Rolle spielen – langfristig dann vielleicht doch wieder, da es Tourpunkte und die Chancen in der Gesamtwertung beeinflusst und da es zum Schluss noch Geldpreise für die beiden insgesamt besten Spieler gibt.
Das war’s eigentlich, oder soll ich noch die Pariser Turnierseite erwähnen? Na gut, mache ich. Allzu viel steht da nicht, eigentlich nur das Chess Tour Motto „Wir sind sooo toll“, und ein nicht ganz dezenter Hinweis, dass Kasparov bei der ganzen Sache mitmischt. Ansonsten verpasst man nichts, wenn man die französische Sprache nicht beherrscht – alles auf Französisch, bis auf das aller-allerwichtigste: „Prize Money“. Ausserdem findet der interessierte Leser dort die Vornamen der Spieler, die ich im Teaser nicht erwähnt hatte.