Die Weltcup-Vorschau Tromsö 2013 des Schach-Tickers von THOMAS RICHTER
Der Weltcup in Tromsö (10.8. bis 3.9.2013) ist diesmal sehr stark besetzt – aus der absoluten Weltspitze fehlen nur drei Spieler die bereits (mindestens) für das nächste Kandidatenturnier qualifiziert sind: Anand und Carlsen die ja demnächst ein WM-Match spielen, sowie Topalov der bereits als Sieger der FIDE Grand Prix Serie feststeht. Aronian und Kramnik sind nach Elo auch bereits qualifiziert, müssen aber noch den Weltcup spielen da ihr Recht ansonsten verfallen würde. Dazu kommen beide Finalisten des Weltcups – im Finale geht es dann nur noch um Prestige, Ehre und immerhin 32,000$ Netto-Preisgelddifferenz.
Vielleicht 20 Spieler haben gewisse realistische Chancen, das Finale zu erreichen: meine beiden Geheimfavoriten (s.u.) sind Nummer 9 und 11 der Setzliste, und Nummer 18-20 sind immerhin noch Giri, Ivanchuk und Radjabov. Für Giri ist Elo 2737 seine bisher beste Zahl aber vielleicht noch nicht Ende der Fahnenstange, während die beiden anderen sich momentan am unteren Ende ihres langfristigen Elo-Spektrums befinden – da kann es wieder aufwärts gehen? Für diverse andere Spieler geht es wohl darum, einige KO-Runden zu überstehen und möglichst viel Preisgeld mitzunehmen. Und für einige ist die "Antrittsprämie" (offiziell Preisgeld für die Verlierer der ersten Runde) von netto 4800$ womöglich bereits mehr als sie sonst in einem einzelnen Turnier verdienen – bzw. zumindest für zwei Partien. Das ist dann auch eine weite Reise wert – diesmal nach Tromsö im hohen norwegischen Norden statt wie bisher nach Khanty-Mansiysk im fernen sibirischen Osten.
Ich werde nicht alle 128 Namen nennen, aber kurz zusammenfassen wie man (oder auch frau) sich für den Weltcup qualifizieren konnte:
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Resultate |
Weltcup 2011 |
Weltcup 2009 |
1) die vier Halbfinalisten des letzten Weltcups (Svidler, Grischuk, Ivanchuk und Ponomariov)
2) die aktuelle Weltmeisterin – nicht etwa Judit Polgar oder Hou Yifan, sondern Anna Ushenina. FIDE-Präsident Ilyumzhinov hat dann aber (s.u.) beschlossen, dass die beiden anderen auch mitmachen dürfen.
3) die Juniorenweltmeister 2011 und 2012 Swiercz und Ipatov
4) 18 Spieler aufgrund ihrer Elozahl (von Aronian bis Shirov)
5-8) insgesamt 92 Spieler die sich über kontinentale Meisterschaften oder Zonenturniere qualifizierten: 46 Europäer, 20 (Nord- und Süd-)Amerikaner, 20 Spieler aus Asien und Ozeanien und 6 Afrikaner
9) 6 Spieler hat Ilyumzhinov eingeladen: zwei aus der erweiterten Weltspitze (Vachier-Lagrave und Navara), die beiden bereits erwähnten Damen Polgar und Hou Yifan und zwei sehr junge Talente – der Pole Jan Krzysztof Duda (Baujahr 1998) und der Chinese Wei Yi *1999. Das geht insgesamt in Ordnung – auch wenn deutsche Schachfreunde vielleicht gerne Naiditsch gesehen hätten und Rapport auch ein logischer Kandidat gewesen wäre.
10) 4 Ausrichterfreiplätze
Wahrscheinlich kommen die Finalisten am Ende aus der ersten und/oder vierten Gruppe – einige andere sind vielleicht für eine Überraschung gut aber das wäre halt überraschend. Was jetzt noch kommt, sind einige Gedanken zu den Ergebnissen früherer KO-Turniere, schwerpunktmässig Weltcup 2005, 2007, 2009 und 2011 aber auch noch frühere Turniere in denen der Sieger sich z.T. bereits Weltmeister nennen durfte. Und u.a. auf dieser Basis nenne ich dann meine Geheimfavoriten.
Das waren die bisherigen Weltcup-Finalergebnisse:
2005 Aronian-Ponomariov 3-1
2007 Kamsky-Shirov 2.5-1.5
2009 Gelfand-Ponomariov 7-5 (ja, die Entscheidung fiel erst im Blitz nach zweimal verlängerter Verlängerung)
2011 Svidler-Grischuk 2.5-1.5
Was (mir) auffällt: Abwechselnd gewannen Spieler aus dem engeren und weiteren Kreis der Elo-Favoriten (Aronian war Dritter der Setzliste, Kamsky #11, Gelfand #1 und Svidler #9). Niemand konnte bisher zweimal gewinnen, und nur Ponomariov stand zweimal im Finale. Wenn man noch weiter zurückblickt, konnte nur Anand mehrfach derlei KO-Turniere gewinnen; ausserdem war Ponomariov bereits 2002 Sieger der FIDE-WM mit demselben System (wobei damals im Finale maximal acht klassische Partien gespielt wurden). Zuletzt standen 2005 relativ junge Spieler im Finale (Aronian war damals 23, Ponomariov 22); seither waren alle Spieler mindestens 25 Jahre alt und oft über 30.
Wagen wir nun eine Prognose wer diesmal gewinnt oder zumindest im Finale stehen wird. Eigentlich müsste es nach dem Gesetz der Serie wieder einer der Elo-Allerbesten sein. Allerdings spricht gegen Aronian, dass er schon einmal gewonnen hat? Caruana ist noch zu jung; ausserdem haperte seine Form in Dortmund – das kann sich natürlich ändern. Gegen Kramnik und auch gegen Nakamura spricht, dass sie bisher relativ wenig Weltcup-Erfahrung haben – das muss kein Nachteil sein, aber ein Vorteil ist es sicher nicht. Mein einer Geheimfavorit ist Ponomariov, da er bisher in KO-Turnieren fast immer recht erfolgreich war – auch 2011 erreichte er immerhin das Halbfinale. Der andere Geheimfavorit ist Mamedyarov, der zuletzt sowohl mit klassischer Bedenkzeit (Peking Grand Prix) als auch im Schnellschach (WM in Khanty-Mansiysk, KO-Turnier in Genf) Turniere gewonnen hat. Zufällig können sie erst im Finale gegeneinander spielen, wobei es bis dahin ein weiter und schwerer Weg ist. Wenn sich die Elo-Favoriten bis dahin durchsetzen, bekommt Ponomariov ab Runde 4 hintereinander Nakamura, Kramnik und Caruana; Mamedyarov müsste mit Kamsky, Aronian und Karjakin (oder Grischuk) abrechnen.
Ab Runde 4 wird es also richtig interessant, auch wenn es schon vorher Matches ohne klaren Favoriten geben kann, z.B. bereits in der zweiten Runde Nepomniachtchi-Shirov (der Sieger spielt dann voraussichtlich gegen Mamedyarov) oder in Runde 3 Svidler-Radjabov. Nach Papierform sollten die besten 16 die vierte Runde erreichen, und die haben alle 2700+. Alle 16 haben das noch nie geschafft, es gab immer gewisse Überraschungen. Zum Teil erreichten junge Spieler mit grosser Zukunft die vierte Runde, z.B. 2005 der an 97 gesetzte Magnus Carlsen oder 2009 #50 Fabiano Caruana (davor Siege gegen Dominguez und Alekseev) und #59 Wesley So (auf Kosten von Ivanchuk und Kamsky). Manchmal auch nach wie vor weniger bekannte Namen wie 2009 Laznicka (besiegte Morozevich und Bologan) oder 2011 Zherebukh (besiegte Eljanov und Mamedyarov). Danach war meistens Schluss für die (Noch-)Aussenseiter, auch wenn ein paar 'unbekannte' Spieler sogar das Halbfinale erreichten: 2009 besiegte Malakhov davor unter anderem Eljanov, So und Svidler. Die grösste Überraschung gab es bei der FIDE-WM 1999 in Las Vegas: im Halbfinale standen der damalige Weltklassespieler Adams (gerade hat er Dortmund 2013 gewonnen) und die drei, wie Kasparov sagte, Touristen Akopian, Nisipeanu und der spätere Weltmeister Khalifman. Ein Jahr danach stand der an 47 gesetzte Grischuk, gerade 17 Jahre alt, im Halbfinale, und 2004 hatte wohl niemand mit Kasimdzhanov gerechnet.
Diverse Spieler konnten also positiv überraschen, was natürlich unweigerlich bedeutet, dass andere enttäuschten. Ivanchuk ist oft frühzeitig gegen nominell schwächere Spieler ausgeschieden, im Laufe der Jahre gleich zweimal gegen Nisipeanu (diesmal übrigens nicht dabei). Nur 2002 erreichte er das Finale gegen Ponomariov, und 2011 stand er im Halbfinale, nahm im Match um Platz 3 Revanche gegen Ponomariov und qualifizierte sich für das Kandidatenturnier. Dritter Halbfinalist anno 2002 war Svidler, nur der vierte hiess nicht Grischuk sondern Anand. Eljanov ist auch oft früh ausgeschieden – 2007 schon in der ersten Runde gegeneinen gewissen Enamul Hossain aus Bangladesh der zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal Grossmeister war.
Noch kurz zu möglichen Nebenwirkungen des Weltcup-Ergebnisses: Wenn Aronian und/oder Kramnik das Finale erreichen, wären andere nach Elo für das Kandidatenturnier qualifiziert – Karjakin und danach Radjabov. Sollten Caruana und Grischuk das Finale erreichen, ist auch Mamedyarov im Kandidatenturnier – nur Caruana oder Grischuk können ihn vom zweiten Platz der GP-Wertung verdrängen, aber dann wäre Mamedyarov auch als Dritter qualifiziert; das letzte GP-Turnier wäre dann nur ein normales Superturnier. Wenn aber Mamedyarov das Weltcup-Finale erreicht, reicht ebenfalls der dritte Platz in der GP-Wertung – und dann kann das letzte Turnier sehr spannend werden da noch mehrere Spieler Gesamtdritter werden können.
Das muss zur Einstimmung reichen, ab Sonntag 11.8. sind die Spieler am Zug. Wer sich nach zwei klassischen Partien qualifiziert, hat jeweils einen Ruhetag vor der nächsten Runde während andere Tiebreak-Matches spielen. Ansonsten gibt es nur einen Ruhetag zwischen Halbfinale und Finale.